Von Tian Wang, Ph.D, und Navid Sadeghi, Ph.D.

 

Martensitkörner sind schwer zu analysieren 

Martensit, eines der härtesten Stahlgefüge, bildet sich, wenn Austenit schnell auf eine niedrige Temperatur abgeschreckt wird. Dies verhindert die Diffusion von Kohlenstoff und die Bildung von Perlit oder Bainit [1] und erzeugt dünne Platten oder Lattenmorphologien [2]. Die spezifischen Eigenschaften dieser Mikrostruktur machen die optische Analyse von Martensitkörnern zu einer Herausforderung. 

Martensitkörner werden mit zunehmendem Kohlenstoffgehalt feiner und wechseln von der Latten- zur Plattenmorphologie [3]. Dies führt jedoch zu einer Verringerung der charakteristischen Gefügeformen und zwingt Fachleute dazu, die Größe der vorherigen Austenitkörner zu messen, um die martensitische Umwandlung zu interpretieren und die Wärmebehandlungsbedingungen zu optimieren [3]. Darüber hinaus kann das Ätzverfahren bei kohlenstoffarmen Stählen frühere Austenitgrenzen nicht sehr gut sichtbar machen. Aus diesem Grund verlassen sich die Labore oft auf das menschliche Auge, um Martensitkörner zu unterscheiden und zu klassifizieren.  

Erschwerend kommt hinzu, dass die übliche Schwellenwerttechnik, die in automatischer Bildanalysesoftware verwendet wird, für diese Art von Bildern nicht zufriedenstellend ist (Abb. 1). Bei der Graustufenschwellenwertbildung wird die Verteilung der Pixelwerte in einem Schwarz-Weiß-Bild verwendet und ein Pixelwert oder Schwellenwert gewählt, um zwei Gruppen von Pixeln optimal zu trennen. Diese Methode funktioniert daher am besten bei klar definierten Phasen, die abgrenzbare Spitzen in der Verteilung der Pixelwerte bilden. In Martensit-Oberflächen können die Graustufen jedoch ohne deutliche Spitzen verteilt sein (Abb. 1a), oder die Körner können eine Mischung aus beiden Gruppen von Pixeln enthalten. Somit ist die Schwellenwertbildung unwirksam für die Partitionierung oder Segmentierung des Bildes in interessante Kornbereiche (Abb. 1b). 

 

Ein Algorithmus für maschinelles Lernen zur optischen Analyse von Martensitstrukturen mit hohem Durchsatz | Clemex

Abbildung 1. Graustufen-Schwellwertverfahren.

(A) Auf dem Histogramm (Pfeil) des Graustufenbildes sind keine deutlichen Spitzen oder Täler zu erkennen. 

(B) Die Segmentierung, die sich aus dem Schwellenwertverfahren (blau) ergibt, kann nicht in automatisierten Analyseroutinen zur Messung der Korngröße verwendet werden. 

Eine neue Methode zur Martensitanalyse 

Vision PE von Clemex verfügt nun über eine automatische Methode zur Verarbeitung von Bildern verschiedener Martensitstrukturen, die nicht von einer Graustufenschwellenwertberechnung abhängt (Abb. 2). Diese neue Methode nutzt neueste KI-Algorithmen und -Bildverarbeitungstechniken, um Martensitkörner schnell und genau zu identifizieren.  

Ein Algorithmus für maschinelles Lernen zur optischen Analyse von Martensitstrukturen mit hohem Durchsatz | Clemex
Ein Algorithmus für maschinelles Lernen zur optischen Analyse von Martensitstrukturen mit hohem Durchsatz | Clemex

Abbildung 2. Neuer Martensit-Algorithmus

(A) Die leistungsstarke Martensit-Funktion wird zu Beginn einer automatisierten Analyseroutine eingefügt und kann in der Regel durch die Anpassung eines einzigen Parameters feinjustiert werden.

(B)  Die Größe der erkannten Körner (gelb) wird dann automatisch gemessen und ein Bericht gemäß ASTM E-112 erstellt.

 

Durch die besonderen Eigenschaften der Martensit-Mikrostruktur sehen die Körner unterschiedlich aus und unterscheiden sich in verschiedenen Bildern. Unser Algorithmus ist sofort einsatzfähig, ohne dass eine arbeitsintensive Annotation dieser variablen Körner oder Vorkenntnisse über ihre Typen und Anzahl erforderlich ist. Die Methode ist also nicht ausschließlich für einen bestimmten Oberflächentyp geeignet und kann durch die Anpassung einiger weniger Parameter erfolgreich auf verschiedene Martensitstrukturen angewendet werden. Das bedeutet auch, dass unerwartete Gefügeveränderungen in der Produktionslinie mit dieser Methode täglich überwachen kann.

Das Verfahren ermöglicht eine effiziente Berechnung und eine schnelle Identifizierung von Martensitkörnern. Es hat daher einen hohen Durchsatz und ist für eine Echtzeitanalyse geeignet. Aufgrund der einfachen Handhabung und der Freiheit von benutzerabhängigen Kriterien wie einem Schwellenwert verringert die Methode die Variabilität zwischen den Anwendern und erhöht die Reproduzierbarkeit. Unsere Methode ist auch zuverlässig hinsichtlich variabler Faktoren bei der Bildaufnahme, wie z. B. der Belichtung.

Fazit

Der neue automatische Algorithmus, der in Clemex Vision PE implementiert ist, bietet somit eine schnelle, allgemeine, zuverlässige und genaue Methode, schwer erkennbare Martensitkörner optisch zu identifizieren. Dieser Algorithmus wurde in Zusammenarbeit mit einem führenden Industriepartner erfolgreich an hunderten von Bildern getestet und eröffnet neue Wege für anspruchsvolle Analysen von Martensit- und ähnlichen Oberflächen, die bisher nicht möglich waren.

Referenzen 

[1] W. D. Callister und D. G. Rethwisch: Materials science and engineering: An introduction, 8th Edition, Wiley Global Education, New York, 2009 

[2] H. Bhadeshia und R. Honeycombe, Steels: Microstructure and Properties 4th Edition, Elsevier Ltd, 2017 

[3] G.F. Vander Voort, ASM Handbook, Band 9: Metallography and Microstructures, 2004, S. 670-700. 

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